Du erledigst die Zombies in der Bar, ich halte die Herde auf der Straße zurück; dann schließen wir uns in der Bar ein, übernachten dort und trinken Whisky. Klingt nach einem guten Deal, aber nicht nach dem gemeiniglich mitgemeinten Wir-Gefühl. Hier existiert also ledglich ein funktionales Wir.
Volle Züge mit Menschen, die gleiche Farben tragen, manche mit expliziten Erkennungszeichen ihrer Fussballmannschaft. Die meisten Fans kennen einander nicht persönlich. Doch jeder kennt dieses Gefühl der inneren Leere in der späten Nachspielzeit, als das letzte Spiel mit 5:3 gewonnen und die Mannschaft schon Meister war, wäre da nicht dieser indirekte Freistoß in Hamburg. Da werden also Qualia mit Unbekannten geteilt: dass sie alle "Schalker" sind, ist ihr abstraktes emotionales Wir.
Viele Familien sind Zwangsgemeinschaften von Menschen, die aus Gewohnheit und Not miteinander leben, aber nichts außer Wohnraum und Hass miteinander teilen. Darum ist die Freundschaft, nicht die Familie, das bessere Beispiel für ein konkretes emotionales Wir. Die Erwartung von Loyalität voneinander wird nicht oder nur selten expliziert; mehr noch: es wird erwartet, dass der Freund weiß, in welchen Situationen er seinen eigenen Weg gehen kann und wann er sich loyal verhalten muss. Eine wahre Freundschaft, nicht im normativen, sondern im deskriptiven Sinne, besteht dann, wenn beide genau wissen, was dieses Unausgesprochene ist. Deshalb wird es nicht einmal für sich selbst explizite logisch formalisiert, sondern man versteht intuitiv. Aus derselben Intuition ergibt sich dann auch, wer "die" sind, die, gegen die man ist, ohne dass Ursache des Antagonismus ausformuliert werden muss.
Das es ein Wir
überhaupt gibt, ist das stärkste Gegenagrument gegen die These vom
grundsätzlichen Scheitern zwischenmenschlicher Kommunikation. Doch neben
einem funktionalen scheidet auch das solipsistische Wir als
Argument aus: ein einseitig (wenn es für den anderen nur funktional
existiert) oder beiderseits eingebildetes Wir basiert zwar auf dem
intuitiven Wir-Gefühl, hat aber für jeden eine andere Bedeutung. "Wir"
wissen nicht, was "wir" sind: was wir einander bedeuten, ob wir uns
wirklich verstehen usw. wird entweder gar nicht erst in Frage gestellt
(solipsistische Wir-Illusion) oder von jedem anders verstanden (das
reflektierte solipsistische Wir). Die Illusion wird erst mit der
Realität konfrontiert, wenn uns eine bestimmte Situation zeigt, dass wir
uns eben nicht verstehen. Das kommt für alle, die in unhinterfragten
Wir-Illusionen leben, überraschend. Wenn aber jeder meint zu wissen, in
was von einer Art "Wir" er sich befindet, setzt er voraus, dass genau
dieses Wir eine beiderseits wahrgenommene Realität ist. Auf dieser
Grundlage werden Erwartungen an den anderen gestellt, die er nicht
versteht, und wenn das solipsistische Wir scheitert, dann ist der
jeweils andere daran schuld, das Wir durch sein (illoyales,
selbstsüchtiges usw.) Verhalten zerstört zu haben.
Je stärker die Ich-Identifikation mit dem solipsistischen Wir, umso größer die Abhängigkeit des Ich von diesem Wir: das Wir sagt mir, wer ich bin. Der Verlust des Wir wird teilweise als Ich-Verlust erlebt. Bei schwachem Ich kann sogar ein solipsistisches Wir das Ich ersetzen: das Individuum identifiziert sich primär mit der Gruppe und verliert die eigene Freiheit und Unabhängigkeit. Doch es gibt ein noch stärkeres Wir, das gerade die Individualität des Einzelnen bejaht: in der Liebe ist gerade die Eigenständigkeit und Einzigartigkeit der anderen Person die Voraussetzung für das transzendente Wir. Erst bei voll entwickelter Individualität kann ein Ich sich in ein Wir transzendieren: ein schwaches Ich verliert sich in einem Wir, was keine Selbsttranszendenz, sondern eine Regression auf einen präegoischen Zustand ist. Das sich im Wir verlierende Ich wird wieder zum Kleinkind, und das Wir übernimmt die Elternrolle. Im transzendenten Wir der Liebe wird aber das eigenständige Ich vollständig bejaht, weshalb die erste Liebe auch das erste konkrete Erleben der Freiheit bedeutet.
Bei bloß funktionaler
Kommunikation werden keine Qualia ausgetauscht, deshalb lässt sich ihr
Scheitern grundsätzlich unterbinden. Bei anspruchsvoller Kommunikation
gibt es den Unterschied zwischen allgemeinen und besonderen Qualia. Das
Gefühl beim Ausgleich in Hamburg, als das Spiel auf Schalke schon
beendet war, und der verzweifelt-befriedigte Ruf des Selbstjustiz-Helden
beim Peneterieren des Sexualstraftäters mit der Stange: "Fühl, was du
meinem Kind angetan hast!" sind Beispiele für allgemeine Qualia: die
Schalke-Fans haben in einem bestimmten Augenblick ungefähr das Gleiche gefühlt, der Verbrecher soll (so die Absicht hinter dem Akt der Selbstjustiz) ungefähr
das Gleiche fühlen wie sein Opfer. Besondere Qualia werden nur dann
ausgetauscht, wenn sich zwei Kommunizierende explizit aufenander
beziehen, und zusammen dieses Gefühl der Liebe füreinander
empfinden. Wenn eine Beziehung lieblos geworden ist, fällt immer
häufiger der das funktionale Wir sicherstellende Satz: "Liebst du mich?"
Bei wirklich empfundener Liebe ist gerade diese so selbstverständlich,
dass sie nicht thematisiert wird: das wäre so, als würde man eine
Gottheit durch zu häufige oder zu profane Benutzung ihres Namens
entweihen.
Qualia zusammen erleben: das ist der tiefere, emotional-intuitive, nicht funktionale Sinn von Wir.
Wir bedeutet Mehrbedeutung: durch das Wir wird ein Mehrwert an
Bedeutung generiert. Was ist aber die Bedeutung von Bedeutung? Dass mehr
existiert als das bloß objektiv Feststellbare. Diese Mehrexistenz wird
zusammen empfunden, wobei es sich um eine geimeinsame Empfindung von
Qualia handelt. Eine KI kann ein romantisches Gedicht oder einen
Libesroman objektiv analysieren und feststellen, was die Geliebte dem
Liebenden bedeutet hat. Aber was bedeutet, "was sie ihm bedeutet hat"?
Das kann die KI nicht wissen. Erst die unmittelbare Erfahrung der
Bedeutung von Bedeutung befähigt zum Verständnis von Bedeutung.
Wozu die ganze Untersuchung? Damit zeigt sich doch, dass es eine geisig-seelische Basisrealität gibt, die in der Wir-Fähigkeit und der Möglichkeit des Qualia-Austauschs durch Kommunikation besteht. Selbst in einer simulierten äußeren Mannigfaltigkeit würde diese Basisrealität bestehen bleiben. Unsere simulierte Welt ist nicht echt, aber sie ist real. Nur gehört eben mehr als wir dachten zur Grundausstattung der Simulation: alles Körperlich-Psychische und die meisten Mitmenschen sind wahrscheinlich simuliert. Alle echten Personen sind auch in einer Simulation echt. Mit NPCs, KIs usw. ist funktionale Kommunikation möglich. Solipsistische Kommunikation findet statt, wenn eine echte Person mit einem Super-NPC kommuniziert (einem NPC, der programmiert ist, echter zu wirken als eine echte Person: emotionaler, dramatischer usw., d. h. dass die Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen möglicherweise ziemlich sichere NPC-Anzeichen sind). Der NPC simuliert das Verstehen und Verarbeiten von Bedeutung in übertriebener Art, die echte Person kommuniziert zwangssolipsistisch: sie redet mit einer Parkuhr und hält sie für einen Menschen.
Ein guter Gott* kann Simulationen nicht bloß zulassen, er wird sogar ihr Entstehen ermöglichen, um echte neue Seelen unter höchstrealistisch simulierten Bedingungen zu prüfen. Wer die Prüfung besteht, nimmt sich selbst und die Summe seiner erlebten und selbsterschaffenen Mehrbedeutungen in die echte Welt mit. Die Sinneseindrücke, Erinnerungen und sonstige funktionale Informationen werden gelöscht. Das bedeutet, dass nicht bloß "die Guten" ins "Paradies" kommen, sondern dass sie sich in diesem "nullten" Leben die Qualia für ihr jeweils individuelles Paradies selbst erschaffen. Der "Heilige" bekommt nach dem Tod eben nicht 72 namenlose Jungfrauen von der Stange, sondern wird mit den schon hier geistig-seelisch erfahrenen Geliebten aus der höheren Welt in ebenjener vereint. Im nächsten Leben wird keiner "belohnt" oder "bestraft", sondern jeder kommt nach Hause, schließt sich einem Wir an, das er verdient.