Donnerstag, 18. April 2024

Einsam und Allein

 

 

Lange Zeit war ich allein, aber nicht einsam. Seit kurzer Zeit bin ich einsam und es fühlt sich gut an. Besonders erhaben, wenn ich allein bin. Ich will nur noch allein sein, zu keinem Wir gehören. Es hat ja schon einmal funktioniert: wir waren ein Freundeskreis aus Individuen, keine Gruppe, jeder für sich. Wir sprachen über Philosophie und Religion, später über Männer und Frauen, waren uns einig in der Kritik des Gynozentrismus und der linksliberalen Politik. Dabei hatte jeder völlig unterschiedliche Ansichten über Gesellschaft, Technologie, die richtige Lebensart. Der Vorteil war: es gab keine gemeinsame Sache, die jemand von uns hätte verraten können. Jeder war allein. Wir tauschten Meinungen aus, oft die gleichen, und hatten sogar einen einem Philosophen gewidmeten Philosophenkreis. Und doch waren wir keine Gruppe, die gemeinsame Ziele oder Werte hätte, sondern Individuen, die in vielem übereinstimmten, sodass nur dann einer den anderen hätte verraten können, wenn er ihn privat und persönlich angegriffen hätte. Aber aus welchem Grund denn? Zum Teufel, es waren nicht einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt zwei von uns in dieselbe Frau verknallt!


Ich bin nicht allein genug, das muss sich wieder ändern. Ich habe gute, sehr gute Freunde. In letzter Zeit war ich oft weder allein noch einsam, so als würde ich mein inneres Wesen verraten. Ich will ja, dass alle Lebewesen glücklich sind, nur sollen sie halt Abstand zu mir halten. Eine Maske muss nicht sein, ein Pokerface genügt. Ich will kein Zusammen, kein Beisammen, kein Gemeinsam, ich will einfach nur Gutes tun. Ein trauriges Danke hören von jemandem, der auf keine Hilfe mehr gehofft hat, bis kein Danke mehr traurig sein muss. Glückliche Menschen sehe ich gern. Als Panorama. Wie glückliche Kaninchen auf der Wiese, verspielt und sorglos. Ich will zu einer besseren Welt beitragen, aber dabei in keiner noch so sympathischen Uniform marschieren. Die Welt zu einem besseren Ort machen für die, die Beziehungen eingehen können. Das Gute ist mir keineswegs nur Mittel zum Zweck, um mein Karma zu verbessern, ich will das Gute auch an und für sich. Eine Gesellschaft, in der nicht das soziopathische "cool" der erstrebenswerteste Charakterzug ist, wäre auch etwas für mich; eine Gesellschaft, die den Idealismus nicht auslacht und sich vor dem Zynismus nicht verbeugt.


Ich strebe eine Welt an, die mich nicht braucht, in der sich der gute Wille endlich verwirklicht hat. Keineswegs will ich die Welt verändern, nur verbessern. Sie soll gut genug werden vor allem für Kinder, egal wo sie aufwachsen. Dann gäbe es keine Themen, bei denen sich lose Individuen einig sein könnten. Keine Freundschaft würde von Leidensgenossen geschlossen werden; nein, nur die sollen Freunde werden, die sich gegenseitig mögen. Und ich will einsam sein, ohne dass meine Einsamkeit als das Bedürfnis, mit jemandem zusammen zu sein, oder irgendwo dazuzugehören, missdeutet wird. Einsam und traurig, und allein gelassen. Und all das ist weder prätentiös noch pathetisch, sondern ein einfaches, fast schon sinnliches Gefühl, mehr auf der Haut als im Herzen. Genug zu sein, sich selbst zu genügen: das sind Selbstschutzbehauptungen, die nicht stimmen. Ich will die Einsamkeit fühlen. Einsam sein, und mich überraschen lassen, ob nicht vielleicht doch – als offene Frage verstanden, so redlich wie nur geht, nicht als ein manipulatives Verlangen nach einem kitschigen "Happy End".