Samstag, 25. November 2017
Kritische Filmkritik (6)
Was ist die Saw-Reihe? Torture Porn? Welches mediale Gross- oder Mittelereignis ist dies nicht? Und wenn nicht immer Torture, so stets Porn. Befriedigt Saw niedere Instinkte? Aber natürlich. So wie ein als Mordwaffe missbrauchtes Küchenmesser. Die Fragestellung danach, wie ein Gegenstand oder ein Kulturprodukt missbraucht werden kann, disqualifiziert nicht das Produkt, sondern den Fragesteller.
Was ist Saw? Saw ist Absolution. Die Intensität des struggle for life, welches in Saw 6 endgültig zu einem struggle for Vergebung geworden ist, erzeugt im Zuschauer unmittelbar keineswegs Schadenfreude - bei wem das der Fall ist, soll dringend zum Arzt - , sondern, sofern die Spiegelneuronen ihre Funktion einwandfrei erfüllen, ein unmittelbares Mitleiden und Mit-um-Vergebung-Bitten mit dem als Opfer missverstandenen Patienten.
In einer Zeit, in der die Kirchen ein Anachronismus geworden sind, die Beichte lächerlich, die Seelsorge von der Psychotherapie ersetzt, sind neue Institutionen, neue Rituale, neue Sakramente unerlässlich. Saw hat den Nerv der Zeit getroffen, aber auch den Nerv moralversessener und moralvergessener Berufskritiker, die mit dem zugegeben bizarren Ersatz für untergegangene Rituale und Sakramente auch das Bedürfnis des Menschen nach Läuterung - welche ohne Schmerz eine bloss vorgestellte, keine wrkliche sein kann - leugnen oder unqualifiziert verurteilen, und dabei einer viel perverseren Entwicklung in die Hand spielen - der neue Mensch des globalen Cocacolakommunismus soll allein im Konsum Absolution finden, er soll Sonntags nach Schnäppchen jagen und keine bösen Filme gucken.
Donnerstag, 16. November 2017
Kritische Filmkritik (5)
Cabin Fever (Eli Roth, 2002): Kritischer Nihilismus.
Ein Horrorfilm. Was ist das? Kann man nicht mathematisch definieren, aber Beispiele anführen. "Scream", "The Ring", "I Know What You Did Last Summer" - das sind keine Horrorfilme. "A Nightmare on Elm Street", "28 Days Later" - das sind Horrorfilme. Dem Horrorlaien ist alles dasselbe, ob Mystikthriller, Splatter oder Gruselschocker. Daraus resultieren Erwartungen, die ein wirklicher Horrorfilm nicht erfüllen kann, die er auch nicht erfüllen will.
"Cabin Fever" ist ein klassischer Horrorfilm, wenn man mit Horror wirklich Horror meint, und nicht etwas anderes. Horror hat etwas mit Angst zu tun. Mit roher Angst. Angst ist die Uremotion schlechthin. Das Letzte, was dem Horrorfilm gut tun würde, wären Charaktere, die wie Computer streng nach der Logik handeln. Ein entstellter Kranker bittet um Hilfe. Was tun? Wie wird das entschieden? Auf dem Papier durch das Abwägen von logischen Argumenten. In der wirklich gegebenen Situation durch den Widerstreit von zwei Emotionen: dem Mitgefühl mit dem Kranken und der Angst vor der Krankheit.
Ein tödlicher Virus. Wer damit in Berührung kommt, stirbt innerhalb von drei Tagen. Die junge Frau in der Badewanne weiss, dass sie infiziert ist. Sie weiss, was das bedeutet. Würde sie logisch denken, würde sie etwas Anderes tun als das, was sie im Film tut. Aber würde sie logisch denken können? In der Situation? Nein. Die Szene in der Badewanne gehört darum zu den Besten im Film. Sie will es nicht wahrhaben. Sie will es einfach nicht wahrhaben. Sie ist von der Angst gelähmt. Um die Art von Angst geht es in Horrorfilmen. Wer keine Horrorfilme mag, wird diesen Film auch nicht mögen. Wer den 5-ten Teil der Freddy-Krueger-Saga zu schätzen und zu verstehen weiss, wird auch "Cabin Fever" schätzen und verstehen. Und gesellschaftskritisch ist er auch noch...
Dienstag, 14. November 2017
Kritische Filmkritik (4)
Birth (Jonathan Glazer, 2004): Nicoles gräßlichste Frisur.
Ein zehnjähriger Junge taucht bei einer erwachsenen Frau auf und behauptet, das Reinkarnat ihres verstorbenen Ehemanns zu sein. Die Geschichte selbst ist so zäh und mittelweilig, dass sich eine Kritik der Geschichte selbst nicht lohnt, - aber etwas anderes. Stellen wir uns doch vor, wir sähen im Kino einen Film, in welchem ein zehnjähriges Mädchen einen erwachsenen Mann aufsuchte, um ihm zu sagen, es sei die Reinkarnation seiner verstorbenen Ehefrau.
Den Jungen im Film lässt man in ausführlicher Bedeutung wie ein Ehemann sich benehmen. Nun dasselbe mit einem Mann und einem kleinen Mädchen. Wo "Lolita" noch die Parthenophilie explizit thematisierte und kritisch problematisierte, hätte jeder Kritiker diesem Film über - angeblich - Seelenwanderung attestiert, auf Umwegen die Pädophilie legitimieren zu wollen.
Welcher ältere Herr ginge dann nicht mit dem Herzenswunsch aus dem Kinosaal, seine in die Jahre gekommene Gattin würde sterben und als ein Mädchen zu ihm zurückkommen, - würde wohl in der "Emma" stehen. Dabei ist es doch nur ein harmloser Perspektivwechsel, und dennoch gänzlich etwas anderes, als eine aus sich selbst heraus (sagen wir ruhig: aus Liebe, denn es handelt sich ja um die Liebe zweier Eheleute) legitimierte Beziehung eines kleinen Jungen und einer erwachsenen Frau.
Montag, 13. November 2017
Kritische Filmkritik (3)
Law Abiding Citizen (F. Gary Gray, 2009): Das Gesetz des Nihilismus.
Hallo Freundchen, ich will ein Spiel spielen. Vor die liegen zwei Filme: "Final Destination 4" und "Law Abiding Citizen". Was siehst du? Einen herrlichen schwarzhumorigen Horrorthriller und einen fragwürdigen Selbstjustiz-Film? Fein. Wenn Menschen wahllos und grundlos abgeschlachtet werden, eines grausamen Todes sterben, - das gefällt dir, oder? Wenn jemand die grausame Ermordung seiner Familie rächt, gefällt dir das aber gar nicht. Merkst du nicht, wer hier der Perverse ist? Ich gebe dir einen Tipp: es ist nicht wirklich nicht der Zuschauer, der Rache verurteilt, aber sich am Sterben Unschuldiger (nennen wir sie ruhig mal so) ergötzt.
Die deutschen Filmübersetzer gehören zu den besten der Welt. Oft sind ins Deutsche übersetzte Filme interessanter als das englische Original - die Rededuelle des Killers mit dem Taxifahrer in "Collateral" (2004) sind im Original ziemlich platt im Vergleich zur Übersetzung. Aber wenn es um die Übertragung von Filmtiteln ins geliebte Deutsch geht, grenzt die Leistung oft ans Debile, und überschreitet diese Grenze nicht selten. "Gesetz der Rache" nimmt dem Titel das trocken-zynische Element - der gesetzestreue Bürger, wie der Originaltitel wörtlich zu übersetzen ist, legt das Gesetz wörtlich aus und führt es ad absurdum. Einen Foltermord begangen und auf Video aufgenommen? Nicht schuldig, so will das Gesetz.
Es ist höchst fragwürdig, wie der sich für einen eigentlich ganz guten Menschen haltende Zuschauer es schafft, sich jeden Filmabend am sinnlosen Töten zu ergötzen, und sich dabei scheinheiligsterweise über nicht ganz sinnloses Töten aufzuregen. Ist doch nur ein Film? Gewiss. Der mit dem nicht ganz so sinnlosen Töten ist aber auch nur ein Film. Wenn Leichenteile fröhlich durch die Luft fliegen, sollte der Zuschauer, der dem psychopathischen Serienmörder zujubelt, doch auch keine Probleme mit einem Rächer haben, der ganz bei Verstand ist. Hat er aber. Weiß er wenigstens, warum? Ich glaube nicht.
Sonntag, 12. November 2017
Kritische Filmkritik (2)
O2 ist eine Telekommunikationsfirma, O3 ist ein Regisseur, dessen jüngster Film "Jung und Schön" schön kontrovers diskutiert wird, - weniger euphemistisch gesagt: es gibt wieder mal hysterisches Geschrei. Die meisten Menschen, insbesondere berufliche Maulhuren, benutzen die Worte "Schlampe", "Hure" und "Nutte" nuttigerweise sehr schlampig, woraus die dümmste Art von Diskussionen resultiert, nämlich jene Diskussionen, in denen für jeden ein und dasselbe Wort etwas anderes bedeutet. Solche Diskussionen fangen aus Streitlust an, und enden mit persönlichen Beleidigungen. Dabei sind die hierfür zu bestimmenden Begriffe schon beleidigend genug.
Eine Schlampe ist jemand, der Unzucht treibt. Es gibt auf der Leinwand nur noch Schlampen, es sei denn, ein Film spielt im Kloster. Die Definition der Nutte ist enger: eine Nutte verkauft ihre Sexualität, und leugnet, dass sie ihre Sexualität verkauft. Wäre die Hauptperson von "Jung und Schön" eine Nutte, wäre die Aufregung nicht so groß. Nun ist sie aber keine Nutte, sondern eine Hure, d. h. jemand, der seine Sexualität verkauft, und dazu steht. Eine 17-Jährige, die sich freiwillig prostituiert: ein Skandal! Sie wurde nicht als Kind missbraucht, sie wird nicht zur Prostitution gezwungen, sondern tut es, weil sie Lust dazu hat. Natürlich fragt man sich als Journalist, Schmeißfliege, Klatschtante oder Aufmerksamkeitsparasit, warum sie das macht.
Die Antwort ist, wie so oft, in den Konsequenzen einer nihilistischen Weltanschauung zu finden. Geld, welches niemals realisiert wird, ist bloß virtuelles Geld. Irgendwann muss mit dem Geld etwas gekauft werden, oder der Glaube daran, dass es noch gilt, schwindet. Schönheit, die nicht realisiert wird, ist virtuelle Schönheit. Im nihilistischen Bewusstsein gibt es keinen Begriff eines Selbstzwecks, der Nihilismus ist das Reich der Mittel (weshalb absolut alles als relativ erscheint). Ein schöner Körper kann nur durch sexuellen Konsum realisiert werden. Wenn es der eigene Körper ist, bedarf es eines äußeren Konsumenten als Mittel des Selbstgenusses. Tierische Menschen, die schön aussehen, wollen vernascht werden, damit ihre Schönheit realisiert wird, und wollen selbst bestimmen, von wem, damit sie durch ihre Reize Macht ausüben können.
Der eigentliche Skandal von "Jung und Schön" ist, dass Sex selbstverständlich scheint und als alternativlos gilt. Als gäbe es keine andere Art, erwachsen zu werden. Wenn der Gradmesser des Erwachsenseins in einer Gesellschaft an der Zerstörung gemessen wird, die du dem Kind in dir angetan hast, dann ist es wahrlich nicht schön, in einer solchen Gesellschaft jung zu sein.
Sonntag, 5. November 2017
Kritische Filmkritik (1)
Was ist jugendliche Rebellion? Filme wie "Ghost World" (2001) und "Margaret" (2011) zeigen, was sie nicht ist. Beide Filme erhielten überwiegend katastrophale Kritiken, doch nicht in dem Sinne, dass die Filme vernichtend kritísiert wurden, denn es sind gute Filme, - vielmehr in dem Sinne, dass die Handlungen der jeweiligen Hauptperson krass missverstanden wurden. Man weiß nicht so recht, ob die Kritiker mit dem Kopf oder mit dem Schwanz dachten, denn sie verwechselten das hinterfotzige und rücksichtslose Verhalten von Schlampen (die gute schauspielerische Leistung von Thora Birch in "Ghost World" und Anna Paquin in "Margaret" muss besonders gelobt werden, denn es ist nicht einfach, negative Charaktere in der Hauptrolle so realistisch zu spielen) mit jugendlicher Rebellion.
Die Protagonistinnen der beiden Filme sind ungefähr 18, und verhalten sich so narzisstisch wie Vierjährige, wobei es für Kleinkinder entwicklungstechnisch gar nicht anders möglich ist, als davon auszugehen, die Welt würde sich nur um sie drehen, - für ältere Kinder und Jugendliche allerdings schon. Sie lügen, betrügen, manipulieren, sind grausam zu ihren Mitmenschen, und dabei ach so sensibel, ja die einzigen, die überhaupt echte Gefühle haben können, und alle anderen Menschen sind ja nur Trottel und Idioten. Sie sind ein abstoßendes Beispiel dafür, wie weit spätpubertärer Eigendünkel gehen kann, wie scheinheilig und heuchlerisch bereits Heranwachsende sein können. Ihre "Rebellion", wie so viele Kritiker es nennen, hat nur für andere ernste Konsequenzen, sie selbst aber können, wie Kleinkinder, ungestraft jeden "Fehler" machen, mit dem großen Unterschied, dass sie ganz genau wissen, was sie tun, und das Schlechte absichtlich (oder grob fahrlässig) tun.
Es gibt viele Jugendliche, die auf dem Holzweg sind: Gewalt, Kriminalität, Extremismus, exzessiver Drogenmissbrauch. Jene, die nicht anders können, weil sie in schrecklichen Verhältnissen aufgewachsen sind, können einem nur leid tun. Die beiden wohlbehüteten Gören sind abgeklärt und zynisch, sie wissen genau, was gut ist, und fordern das Gute von ihren Mitmenschen mit einem theatralisch in Szene gesetzten moralischen Terror. Für sich selbst lassen sie andere Maßstäbe gelten, denn sie haben schließlich Gefühle, und sind so sensibel und genial und einzigartig. Wer schon immer wissen wollte, aber nie zu fragen wagte, was eine Bitch ist, bekommt in diesen zwei Filmen eine klare Antwort (ohne dass die Filme beanspruchten, diese Antwort zu geben).
Die meisterhaft gespielten Bitches sind nur ein Spiegelbild einer verlogenen und narzisstischen Gesellschaft; sie saugen wie Schwämme die "Werte" dieser Gesellschaft mit sämtlichen Feuchtgebieten auf, - das, was auf benebelte Filmkritiker wie Rebellion wirkt, ist nichts als konsequente Nachahmung dessen, wogegen vermeintlich rebelliert wird. Dass die Bitches als solche nicht erkannt, sondern zu Rebellinnen verklärt werden, spricht nicht gerade für ein hohes Reflexionsniveau derer, die in den genannten Filmen Gesellschaftskritik zu sehen glauben. Dass die Protagonistinnen dem Zuschauer schon deshalb sympathisch werden, weil er dazu gedrängt wird, mit ihnen mitzufühlen, sollte nicht den Blick auf deren Handlungen vernebeln; der Wunsch, derartige Spätlolitas flachzulegen, sollte nicht zum Befehl werden, ihre Verdorbenheit als Ehrlichkeit usw. zu verklären.
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