Samstag, 9. Juni 2018

Verschwörungstheorien IV: Was gehen wir Gott an?





Mit einem Gottesbeweis ist es freilich noch nicht getan. Nehmen wir das absolute Wesen als bewiesen an, ebenso dass es eine Person ist, kein unendlicher Automat, kein allumfassendes Nichts, sondern ein geistiges ich-haftes Wesen wie wir Menschen. Können wir hieraus schon folgern, dass sich dieses absolute Wesen für uns Menschen interessiert? Was soll der Grund dafür sein? Nur dass wir uns selbst ebenso Ich nennen, unserer Selbst bewusst, Personen sind? Nur weil wir an ein absolutes Wesen glauben und zu ihm beten können?

Es gibt Milliarden Sternensysteme, in denen Leben enstanden sein kann, könnte, konnte, können wird oder können würde. Vielleicht sind in den letzten fünf Milliarden Jahren zahlreiche Zivilisationen ich-sagender Wesen entstanden und untergegangen. Nach uns kommt wohl kaum die Sintflut - kosmisch gesehen - , sondern neue und aberneue Welten und "Menschheiten". Warum soll ausgerechnet unsere Menschheit, unsere kleine Ein-Planet-Welt von Gott zu irgendetwas auserwählt sein? Warum soll Gott, der eine Gott des gesamten Universums (und meinetwegen auch des gesamten Multiversums), ausgerechnet zu unserer Menschheit eine exklusive Beziehung aufgebaut haben, die uns zu über das natürliche religiöse Bedürfnis hinaus gehenden Hoffnungen berechtigt?

Es ist, Gott als bewiesen vorausgesetzt, mit derselben Logik, mit der etwa unser ontologischer Gottesbeweis zustande kam, als überwahrscheinlich anzunehmen, dass der Herr über die Unendlichkeit uns noch geringer achtet, als wir die Bakterien in unserem Verdauungstrakt. Was soll eine kleine von jeglicher ästhetischen und moralischen Perfektion weit entfernte Menschheit wie die unsere das absolute Wesen angehen? Wir können glauben, was wir wollen, wir können sogar logisch beweisen, dass es ein absolutes Wesen geben muss, freilich schuldet uns dieses absolute Wesen für unseren Beweis seiner Existenz genau nichts, und das ist ungefähr die Größenordnung, in der wir planetare Bakterien einen Dank von ihm für all unser Glauben, Beten und Opfern zu erwarten haben.

Auf unsere kleinen irdischen Maße übertragen und verdeutlicht: Nehmen wir an, es gibt einen Über-Bänker (nennen wir ihn R.), dem es egal ist, wer auf der Welt die Gesetze macht, solange er das Geld kontrolliert, und ich, kleiner Verschwörungstheoretiker, kann mit einem Streifzug durch die neueste Weltgeschichte logisch beweisen, dass es ihn gibt, und wie er in der Welt wirkt - weiß R. deshalb nun, dass ich von ihm weiß, ihn hasse oder bewundere, von ihm ein kleines Milliönchen will oder das Geld hasse und Sünde nenne? Selbst wenn R. von mir wüsste, hätte er kein Milliönchen für mich übrig, sondern nur ein Millionstel eines Schmunzelns.

Es sieht nicht gut aus. Inbrunst, Überzeugung, Entschlossenheit, uns selbst zu Tode zu kasteien, oder Andere für unseren Glauben zu töten, müssen Gott so egal sein, wie uns der auf unseren täglichen Stuhlgang zwingend folgende Tod von Milliarden unserer Darmbakterien. Es gibt nur eine Möglichkeit für uns, Gott nicht egal zu sein, - dies ist jedoch keine Möglichkeit für uns, sondern eine Möglichkeit für Gott. Nur indem Gott selbst Mensch wird, kann er uns überzeugen, dass ihn die Menschheit etwas angeht, und somit auch unser Glaube, unsere Religion und unsere Moral. Die Menschwerdung Gottes kann nichts logisch Ableitbares sein, keine mathematische Formel, keine philosophische Erkenntnis, sondern nur eine historische Tatsache. Ob dergleichen geschehen ist, ist keine bloße Gretchenfrage, sondern genauso eine Faustfrage, die für uns Menschen anthropologisch und praktisch nicht weniger bedeutet, als die Frage nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält.